Freitag, 25. November 2011

Sahara

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mich nicht erinnern kann, wann ich das letzte Mal so viel geschwitzt hab wie in den letzten Tagen. Um spontanen Schlussfolgerungen vorzubeugen: nein, ich bin nicht völlig daneben. Ich benutze einfach nur regelmäßig die Wiener Linien.

Und diese scheinen es sich offensichtlich in den vergangenen Wochen zur Aufgabe gemacht zu haben, einige Züge auf Temperaturen aufzuheizen, die man sonst nur in Tropengebieten findet – bisher allerdings ohne erlösenden Regenschauer. Teilweise sind die Verkehrsmittel so warm, dass man sich schon beim Betreten in einer Kurzschlussreaktion alle Kleider vom Leib reißen möchte. Ob dies ein fragwürdiger Versuch ist, die Fahrt durch eine Peepshow unterhaltsamer zu gestalten oder mehr nudistische Fahrgäste anzulocken, ist noch nicht geklärt.

So sind Temperaturunterschiede von 30°C in der Straßenbahn keine Seltenheit und wer in den besonderen Genuss kommt auf einem Sitz über der Heizung Platz nehmen zu dürfen, kann sich spätestens nach zwei Stationen vorstellen, wie sich ein Grillhendl am Rost fühlen muss. Mit akrobatischen Höchstleistungen versucht man dann nämlich zumeist, den Hintern irgendwie seitlicher zu halten um nicht direkt angekokelt zu werden. Meist erfolglos.

Gut, es ist draußen kalt und man möchte einheizen – alles logisch nachvollziehbar. Aber gerade weil es kalt ist, haben die Menschen ja auch viele dicke Schichten an und wären also prinzipiell auch ohne künstlich erzeugtes Saharafeeling in der Straßenbahn überlebensfähig.

Stattdessen steht man nun jeden Tag dick angezogen in einer Herde schwitzender Menschen und im besten Fall in der Stoßzeit auch noch eingepfercht wie ein Mastschwein in der Straßenbahn und taumelt dann kurz vorm Kollaps beim Aussteigen in die Kälte. Komplett durchnässt kommt man dann in vollster Sexyness in der Arbeit an und darf sich auch an den Schweißflecken der anderen erfreuen.

Mittlerweile erkennen Profis sogar schon am Schweißfleck, wer aller öffentlich zur Arbeit gekommen ist. Damit verbundene zweifellos spaßbringende Aktivitäten wie „Wer hat die größten Schweißflecken?“ erscheinen zwar kurzfristig amüsant und reizvoll, sind aber spätestens nach dem 2. Sieg mit Frustration und Selbstzweifeln verbunden.

Ich bin jetzt schon so weit, dass ich – sollte ich ein dampfendes Straßenbahn-Würstchen daherkommen sehen – überlege, ob ich nicht lieber gleich zu Fuß gehe, um mir den Temperatur-Schock zu ersparen. Zwar ist mir bewusst, dass diese Öffi-Wechselbäder sonst nur in sündteuren Thermen zu finden sind und ich mich auch darüber freuen könnte, dass das zumindest den Kreislauf anregt, ein paar Fragen stellen sich mir aber schon:

-       hat man es wirklich notwendig, in normalen Straßenbahnwagons Temperaturunterschiede von 30°C zur Außenwelt zu erzeugen?
-       gibt es in Wien irgendeine Person, die glücklich über einen brennheißen Sitzplatz ist, den man dann fluchtartig verlässt um Verbrennungen 2. Grades zu vermeiden?
-       gibt es wirklich so viele Wappler, die sich zu wenig anziehen und die man dann in Öffis mit derartigen Temperaturen retten muss?
-       und vor allem: wollen wir Leute, die es nicht schaffen, sich temperaturgemäß zu kleiden, tatsächlich fördern?

Mehrere Tage erlebe ich nun schon verständnislose Blicke und Kommentare vieler Leute zu den Temperaturen. Wie lang es wohl dauern wird, bis die Wiener Linien auf die im wahrsten Sinn des Wortes aufgeheizten Gemüter reagieren?

Man darf gespannt bleiben.

© Eiki