Sonntag, 17. April 2011

Sprechgarnituren


Kennen Sie das? Man geht gerade auf der Straße entlang oder spaziert etwa im Supermarkt bewaffnet mit einem Wagerl durch die Gänge und hört plötzlich jemanden sprechen. Als man sich zu der zumeist angeregt diskutierenden Person hindreht, erkennt man allerdings, dass die Person eigentlich keinerlei konkreten Gesprächspartner hat. Nein, nein! Vielmehr scheint sie zusammenhanglose Reaktionen ins Leere von sich zu geben. Kurz bevor man dann schließlich völlig verstört das Weite suchen will, löst sich endlich das Geheimnis auf. Die Person wendet den Kopf und durch Haare oder sonstige Kopfbedeckung wird ein kleiner schwarzer Knopf im Ohr mit spaciger Vorrichtung erkennbar: ein Head-Set. 

Head-Sets gibt es als kabellose Ohrstecker mit langen dünnen Mikros, wie sie sonst nur bei Volksmusik-Open-Air-„Konzerten“ am Wörthersee Verwendung finden, aber auch als kiloschweres grauschwarzes Technik-Riesenbröckerl, das stramm hinter dem Ohr befestigt wird und auch beim Gleichgewichtstraining für Hochseiltänzer Verwendung findet. Zu guter Letzt findet man sie noch als verkabelte „fake-Musikkopfhörer“-Version, die im Allgemeinen bei spontanem Losreden für noch mehr Verwirrung sorgt. 

Obwohl in der heutigen Zeit Freisprecheinrichtungen und Head-Sets weit verbreitet scheinen, kann ich jedes Mal wieder aufs Neue erkennen, dass Head-Setter von fast allen umliegenden Personen (inklusive mir) verwirrt begutachtet werden. Zuletzt konnte sich ein Pensionist beim Anblick eines sehr laut freisprechenden Businessman die Aussage: „Wos is’n mit dem Trottel?“ nicht verkneifen. Und da sind wir auch schon beim Thema! 

Früher wurden diskutierende und gestikulierende Menschen ohne Gesprächspartner in die Psychiatrie gesperrt. Heute rechtfertigt ein Knopf im Ohr verstörendes Verhalten und eben diese Menschen verdienen heute ihr Geld in der Wirtschaft (zumeist als Topmanager). Im überwiegenden Teil der mir bekannten Fälle handelt es sich nämlich um Geschäftsleute, die den schwarzen Miniknopf gut versteckt, Coffee-to-go-Becher-haltend und Wirtschaftsblatt lesend Blicke fassungsloser Passanten kassieren, die sich fragen, wie der offensichtlich schizophrene Dillo nur irgendetwas erreicht haben kann in seinem Leben. 

Doch mittlerweile macht das Head-Set vor niemandem mehr Halt und selbst Leute, die beide Hände zum Telefonhalten frei hätten, sprechen lieber wild gestikulierend in die Luft. Und das Telefonat kann noch so wertbefreit sein, einem Head-Set entkommt es nicht! So wird selbst für ein „Jaa, Schatzi. …. In der U-Bahn. Genau. …. Na, passt. Bis gleich!“ während das Telefon läutet, hastig der Stöpsel im Ohr befestigt um dann genussvoll freisprechen zu können.

Ja, und wenn dann im besten Fall das Mikro nicht so funktioniert wie es sollte und die Hand, die früher das Telefon hielt, nun das Kabel auf dem das Mikro angebracht ist zum Mund halten muss, ja, dann stellen sich sogar die Head-Sets selbst die Sinnfrage…

© Eiki