Donnerstag, 15. September 2011

Menschen 11 - Leser


Auf mehr als gerechtfertigten Anstoß eines Freundes wende ich mich heute Lesern ausgewählter Tageszeitungen Österreichs zu. In der Folge die Zeitungsleser meines näheren Umfeldes - vorab sei betont, dass freilich nicht alle Leser dem entsprechen. Gewisse Tendenzen sind allerdings nicht zu leugnen.  

Die Kronen-Zeitung-„Leser“: Schon der Name der Zeitung verdeutlicht den Fokus auf die gute alte Zeit und die Wertschätzung des Kaisertums. Käufer (bzw. am Sonntag Fladeranten) der aus mir bisher unerfindlichen Gründen die meisten Leser aufweisenden Tageszeitung Österreichs sind Genießer der kurzen einfachen Sätze und vieler Bilder. Oder von Gedichten, die selbst ein Vorschulkind besser reimen könnte. Politische Themen werden größtenteils mit einem Inserat der Freiheitlichen Partei unterstrichen, zusätzlich mangelt es nicht an Anzeigen für jeden Fetisch dieser Welt. Leser der Kronen-Zeitung beschäftigen sich am liebsten mit Themen wie Straftaten (am besten, wenn der Täter kein Österreicher war), Fehlern von Politikern, Skandalen sowie neuen Geburten im Tiergarten Schönbrunn. Jetzt hätte ich fast die Nackerte vergessen! 

Die Heute-Leser: DIE Gratiszeitung schlechthin und vom Schulkind bis zum Topmanager ein besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln gern gelesenes Blatt. Bewegende Schlagzeilen wie  „Lauda trägt wieder rote Kappe“ oder „Mann auf Bananenschale ausgerutscht“ lassen zwar gewisse Zweifel an der Tiefsinnigkeit der Recherchen aufkommen, diese werden aber durch das Farbsudoku allenfalls wieder aufgehoben. Insider vermuten, dass einige Menschen mittlerweile ohne vorheriges Absolvieren des Heute-Sudokus nicht mehr konzentriert arbeiten können. Dankenswerterweise wird man durch das Horoskop außerdem perfekt auf den Tag vorbereitet. Am Sonntag schaut man allerdings diesbezüglich durch die Finger und muss hoffen, den Tag irgendwie ohne Hilfe über die Bühne zu bringen.

Das Publikum der Presse: Intellektuell vom Feinsten oder zumindest gern so wirkend, schlägt der gemeine Presse-Leser die Zeitung elegant auf, um sich der Entwicklung des Ölpreises oder einer hitzigen Debatte des Europäischen Gerichtshofs zu widmen. Den Aktenkoffer lässig am Boden platziert, wird das Lesen der langen, eloquent formulierten Artikel nur durch Sippen am Coffee-to-go oder ein Telefonat via Headset unterbrochen. 

Die Standard-Leser: Liebhaber von hautfarbenen Zeitungen lehnen sich bequem an ihr Fahrrad und beißen genüsslich in ihr Bio-Tofu-Kresse-Leinsamen-Weckerl, während sie auf den Beginn eines Theaterstückes im Volkstheater warten. Sie sind weltoffen, öfters mal Vegetarier, für die Integration und diskutieren gerne Länge mal Breite. Bevor sie schlafen gehen, kommt der Standard dann noch brav in den Papiermüll, der neben 6 anderen Müllkübeln (Bio, Metall, Plastikflaschen, Batterien, Gefahrenstoffe, normal) angeordnet ist.

Die Kurier-Liebhaber:  Kurier-Leser möchten sich von erstgenannten Lesern gerne abgrenzen, sind aber vielen Bildern und Tierbabies ebenso wenig abgeneigt. Skandal, Mord und Totschlag sowie packende Themen aus der Umgebung sind auch hier willkommenes Lesefutter. Ich persönlich kenne nur Kurier-Leser über 50. Ob man hier von einer generellen Neigung sprechen kann, wage ich nicht zu beurteilen. Erst wenn es ein T-Shirt zu kaufen gibt mit „haben Sie noch Sex oder lesen Sie schon Kurier?“, sehe ich meine Beobachtungen als bestätigt an.

Und? Jemand wiedererkannt?

© Eiki